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Sich schön fühlen

Krebs verändert das Verhältnis zum eigenen Körper. Gerade deshalb posten viele Patientinnen Fotos von sich im Netz. Von Sonja Helms Dieser Artikel stammt aus der ZEIT-Doctor-Beilage: Wie junge Menschen mit Krebs ihr Leben bewältigen Bild: © KangHee Kim, aus der Serie "Street Errands", 2019

Am schlimmsten sei der Moment gewesen, als die Haare weg waren; wie schutzlos sie sich gefühlt hätten, wie ausgeliefert, so erzählen es viele Krebspatienten. Denn der Haarverlust macht die Krankheit sichtbar für andere und für einen selbst. Plötzlich blickt einem eine fremde Person aus dem Spiegel entgegen. Junge Menschen definieren sich häufig über ihr Aussehen. Und wenn der Krebs ihnen die Locken, den markanten Bart oder im seltenen Fall gar das Bein nimmt, berührt das die Identität.

Manch einer lässt seine Narbe später in ein schönes Tattoo übergehen und zeigt es selbstbewusst her. Es gibt sogar Tätowierer, die sich darauf verstehen, nach einer Brust-OP die fehlende Brustwarze durch ein täuschend echtes Tattoo zu ersetzen. Aber die Veränderung dringt tiefer: Viele Patienten fühlen sich unwohl in ihrer Haut. "Das Vertrauen ist erschüttert", sagt der Psychologe Henning Ross von der Rehaklinik Katharinenhöhe im Schwarzwald. "Der Körper hat sich der Kontrolle entzogen. Man hat nie geraucht, nie getrunken, hat immer Sport gemacht und kriegt trotzdem eine Leukämie."

Ihrem Umfeld zu vermitteln, wie es ihnen damit geht, fällt jungen Patienten schwer. Daher suchen sie Austausch im Netz. Einige bloggen oder posten unter Hashtags wie #lebenmitkrebs, #fckcancer oder #brustkrebs aus ihrem Leben mit der Krankheit, um zu informieren und zu inspirieren und Zuspruch zu erhalten. Wer könnte sie besser verstehen als Gleichaltrige, die Ähnliches durchmachen?

Die Kommunikationswissenschaftlerin Julia Stüwe von der Universität Rostock hat untersucht, wie sich Erkrankte zwischen 18 und 39 Jahren auf Instagram präsentieren: Es posten mehrheitlich jüngere Frauen, und sie zeigen dort – was vielleicht überrascht – oft eine heile Welt. "Inhalte zur Krankheit sind weniger präsent, als man erwarten würde bei Menschen, die in ihrer Biografie explizit 'Ich habe Krebs' oder 'Ich bin ein Survivor' angeben", sagt Stüwe. Zwar gibt es auch Bilder von Klinikbetten oder Narben, doch meist zeigen sich die Patientinnen zurechtgemacht und lächelnd. Ein Grund sei sicher die Angst vor Stigmatisierung, aber ein anderer, dass die Erkrankten das Medium nutzen wie alle anderen: Instagram sei in erster Linie ein Ort der schönen Bilder – und wer wollte es den Betroffenen verübeln, sich dort selbstbewusst und schön fühlen zu wollen? Indem sie ihren kahlen Kopf nicht verstecken, sondern ihn zeigen, manchmal sogar verziert oder bemalt, sind sie Vorbild für einen selbstverständlicheren Umgang mit Krebs.

Auch der Psychologe Ross kann dem Bloggen und Posten in sozialen Medien Positives abgewinnen. Follower könnten sich in den Geschichten wiederfinden: "Im Netz eine Frau zu sehen, die sich ohne Haare zeigt und sich nicht unterkriegen lässt, macht ihnen Mut, auch wenn sie das vielleicht selbst nie so machen würden", sagt er. Und den Bloggern selbst hilft es bei der Bewältigung: "Weil sie sich als handlungsfähig erleben", sagt Ross. Das beuge einer späteren Traumatisierung vor. Im Netz entscheiden sie selbst, welche Geschichte sie über den Krebs erzählen. Sie fühlen sich weniger ohnmächtig und zeigen, dass sie mehr sind als ihre Krankheit. So gewinnen sie etwas Kontrolle zurück – und sei es nur über das eigene Bild.

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